|
Verhör
Am
29. Januar und 4. Februar anno 1710 wird der etwa 20-jährige
Hans Ulrich Burgermeister von Wagerswil vor dem Land- und Strafgericht
verhört; er ist des Giftmordes an seiner Gattin Barbara Burgermeister-Kesselring
angeklagt. Hans Ulrich bestreitet die Tat nicht, er habe seine Frau,
die er vor 22 Wochen heiratete, nie geliebt und wollte sie weg haben,
"sie habe nichts könen, und auf die werkh sich nichts
verstanden". Zudem habe sie die Äpfel aus dem "Gumpip"
(eingemachter Kompott) alleine gegessen und ihm nur die Rüben
gelassen.
Auf die Frage, ob das Gerücht wahr sei, dass
er seine Gattin vergiftet habe, schildert Hans Ulrich, wie es zur
Tat kam. Er habe in Weinfelden Mäusegift gekauft, dieses habe
er im "Kuchihüsli" unter das Mehl gemischt. Damit
habe seine Frau dann am Sonntag ein weisses Mus gemacht. Er selber
habe auch ein paar Löffel voll davon genossen. Es sei seiner
Frau aber nur übel geworden.
Er habe darauf in Weinfelden für
einen Schilling Gift gekauft und dieses hinter dem Rücken der
Frau in die eine Hälfte des Brotteigs gemischt. Den vergifteten
Teil habe er seiner Frau gegeben, den anderen habe er für sich
behalten und in Gegenwart seiner Frau selber gegessen. Auf die Frage
des Gerichts, wie die Frau darauf reagiert habe, sagt Ulrich, er
habe nichts Sonderliches gesehen, ausser dass sie sich beklagte,
es sei ihr übel. Sie habe erbrechen müssen, er sei aber
trotzdem "ins Holtz gegangen". Als er wieder nach Hause
kam, habe ihm die Frau geklagt, sie hätte stark erbrechen müssen,
und sie wisse nicht, was ihr wohl "begegnet" sei.
Hans Ulrich will aber die Schuld
nicht alleine tragen. Er bezichtigt seine zwei Kumpanen, den Zacharias
Meussy einerseits, und den Hirtenjungen Johannes aus Wagerswil andrerseits,
ihn zu dieser Untat angestiftet zu haben. Beide hätten ihm
geraten, für ein paar Schillinge Mäusegift zu kaufen und
unter das Mahl zu mischen. Seine Bedenken hätten ihm die beiden
zerstreut: Sei die Frau einmal tot, könne sie ja nicht mehr
aussagen, und man werde die Ursache ihres Todes weder sehen noch
wissen können. Manch einer habe schon ein zweites oder drittes
Mal wieder weiben können und dies sei vielleicht auch durch
dieses Mittel geschehen und nicht offenbar geworden. Wenn man dann
Gott um Verzeihung bitte und brav bete, sei auch diesem gegenüber
die Sache wieder in Ordnung.
Das Gericht will mehr über die
Rolle des Zacharias Meussy wissen. Hans Ulrich erzählt, sie
seien vergangenen Spätherbst des nachts mineinander ausgegangen
um Rüben zu entwenden, und als sie dann in Meussys Stube zusammensassen,
habe ihn dieser gefragt, warum er nicht seine Schwester (Meussys)
geheiratet habe, da er sich mit dieser ja besser verstehe als mit
seinem jetzigen Weib. Er habe Zacharias dann zu verstehen gegeben,
dass er seine Frau nie lieb hatte und er "gerne hätte,
dass ihm selbige wieder stürbe". Hans Ulrich betont dem
Gericht erneut, dass er nie darauf gekommen wäre, hätte
er nicht diesen Unterricht von Zacharias und von Johannes erhalten.
Zeugenaussagen
Noch am selben 4. Februar werden die Zeugen einvernommen. Der etwa
16-jährige Hirtenbub Johannes sagt aus, er kenne Ulrich, weil
ihm dieser vor ungefähr acht Wochen ein Wollhemd samt "Ribeli"
für 3½ Gulden verkauft habe. Bei diesem Anlass habe
Hans Ulrich ihm geklagt, wie ungern er sein Weib habe und dass er
ihm das Geld schenke, wenn er seine Frau los werde. Später
auf dem Jahrmarkt zu Weinfelden habe ihm Hans Ulrich das Gift, das
er eben für einen Schilling gekauft hatte, geben wollen mit
der Bitte, er soll dieses seiner Frau geben. Er könne es auf
ein genässtes Stück Brot einreiben und es der Frau geben.
Wenn er dies tue, so wolle er ihm die 3½ Gulden schenken.
Er, Johannes, wollte sich aber mit dieser Sache nicht beladen, obschon
ihm Hans Ulrich erklärte, dass dies keine Sünde sei, wenn
man nur brav bete. Einige Zeit später habe ihm Hans Ulrich
erzählt, er habe dieses Gift in "einer Dünnen"
(Fladen) seiner Frau gegeben, aber es habe nicht gewirkt, seine
Frau habe nur erbrechen müssen.
Hans Ulrich habe ihm gesagt, er werde
es noch einmal probieren. Er Johannes habe ihm "solches abgewehrt",
weil das doch grausam sei. Seither habe er mit Hans Ulrich nicht
mehr über diese Sache geredet. Er habe auch nicht mehr darüber
nachgedacht, bis er durch die Nachricht vom Tod der Frau aufgeschreckt
worden sei. Er sei von seinem Meister weg zu seinem Vater gegangen
"und die Sachen demselbigen erzehlt".
Zeuge Zacharias Meussy erklärt
dem Gericht, er wisse nicht, warum er hier erscheinen müsse,
er habe niemandem etwas Böses getan und niemandem zu etwas
Bösem angehalten. Das Gericht will wissen, ob er gewusst habe,
dass dem Ulrich Burgermeister "sein Weib verleidet sei".
Zacharias behauptet, er hätte nichts gewusst, mindestens könne
er sich nicht mehr daran erinnern. Das Gericht ermahnt ihn, seine
Aussagen wohl zu überdenken. Zacharias sagt, er hätte
mit dem Angeklagten nichts gemein, und wenn zwischen ihnen etwas
geredet worden sei, so bestimmt nicht in böser Absicht. Die
Frage des Gerichts, ob Hans Ulrich ihm nicht gesagt habe, er wäre
froh, nie "gewibet" zu haben, er werde aber die Sache
mit 1 oder 2 Schilling Mäusegift erledigen, verneinte Zacharias.
Er wisse nichts davon, und wenn es so gewesen wäre, dann sei
es ihm entfallen, der Burgermeister möge sagen, was er wolle.
Das Gericht traut Zacharias offenbar
nicht, er wird am gleichen Tag nach der Mittagsmahlzeit ein zweites
Mal verhört. Ob er vorhin der Obrigkeit die Wahrheit gesagt
habe, will das Gericht wissen. Zacharias sagt aus, er sei bei der
ersten Einvernahme etwas erschrocken gewesen, meine aber die Wahrheit
gesagt zu haben. Er habe dann etwas nachgedacht und sich daran erinnert,
dass Burgermeister ihm über sein Weib und seine Sorgen geklagt
habe, und dass er wünschte, sie würde nicht älter.
Er, Zacharias, könnte darauf noch etwas gesagt haben, das jetzt
aber unfreundlich und zu seinen Ungunsten ausgelegt werden könnte.
Er wisse wohl, dass der Angeklagte sein Weib nicht gerne hatte,
weil man ihn gleichsam gezwungen habe, selbige zu heiraten. Er könne
aber nicht sagen, dass sich Hans Ulrich bei ihm ernsthaft beklagte,
wenigstens habe er es nicht so aufgefasst, deshalb könnte es
schon sein, dass er in aller Arglosigkeit gesagt habe, wenn einer
sein Weib nicht gern habe, so sei dem mit einem Stein oder einem
Schilling Gift abzuhelfen. Er habe aber bei allem nie daran gedacht,
dass es so weit kommen könnte.
Warum er dies nicht schon bei der
ersten Einvernahme gesagt habe? Er sei zu sehr "im Schrecken
gewesen" und habe nicht besser über die Sache nachgedacht.
Hans Ulrich Burgermeister wird nun
den Zeugen einzeln "under das Augenlicht gestehlt" und
ermahnt, wahrheitsgetreu zu schildern, was ihn zur begangenen Untat
bewogen oder veranlasst habe. Hans Ulrich wiederholt seine früheren
Aussagen. Meussy hingegen bestreitet all das gesagt zu haben. Wohl
habe man darüber geredet, wie Hans Ulrich mit vergiftetem Brot
geholfen werden könnte, aber nie mit der Absicht, dass selbiger
dieses bewerkstelligen solle, schon gar nicht habe er versucht,
ihn zu dieser Untat zu verleiten. Er habe ihm sogar ausdrücklich
gesagt, dass derjenige, der so etwas täte, eine grosse Sünde
begehe und sich vor Gott und der Obrigkeit schuldhaft mache.
Hans Ulrich besteht auf seiner Ansicht,
dass er die Tat nie begangen hätte, wenn ihm nicht die beiden
Anlass dazu gegeben und ihm als "Wegwisser" gedient hätten.
Meussy beteuert nochmals, der Burgermeister
habe ihn gefragt, wie man eines Menschen los werden könne.
Darauf habe er gesagt, dies sei ganz leicht, und zwar mit 1 oder
2 Schilling Gift zu vollziehen. Aber er habe ihm nie gesagt, dass
er dies auch tun solle.
Urteil
Donnerstag den 13. Februar 1710 ist
über Hans Ulrich Burgermeister von Wagerswil vom Land- und
Malefizgericht das Urteil gesprochen worden.
Durch Mehrheitsbeschluss haben die
Land- und Malefizrichter nach "getaner Klag und Antwort"
Hans Ulrich Burgermeister verurteilt. Der Malefiz sei dem Scharfrichter
in "seine Hand und Band" zu überantworten. Dieser
soll ihn auf die Richtstatt führen, ihn dort auf die "Buechen
spannen", durch die Stösse des Rads seine Glieder brechen*,
ihn nach gegebenem Herz- oder Gesellen(Gnaden?)stoss auf das Rad
einflechten** und beim Galgen für männiglich als Exempel
aufstecken. Wenn dies geschehen, so habe der Malefiz im zeitlichen
Leben gebüsst, und sein Hab und Gut soll dem hochobrigkeitlichen
Fiskus anheimfallen.
Als Nebensatz wird angeführt,
dass dieses Urteil auf Einsprache der Geistlichkeit und des Obervogts
von Altenklingen sowie aus Gnaden des Landvogts Ackermann von Unterwalden
dahin "limitiert" wurde, dass der Delinquent zuerst an
einem Pfahl*** erwürgt werden solle, bevor er öffentlich
geradbrecht und vor dem Galgen aufgestellt werde.
* Die Abbildung
über Hinrichtungsmethoden im 18. Jahrhundert zeigt rechts am
Rand, wie einem Delinquenten mit dem Rad die Glieder gebrochen werden.
** Bei dieser Vollstreckungsart wurden
dem Verurteilten zuerst die Arm- und Beinknochen gebrochen. So konnte
er nackt in ein Wagenrad eingeflochten werden. Nachdem der Henker
mehrfach ein neues, schweres Wagenrad auf den Delinquenten fallen
liess, wurde das Rad mit einem Pfahl aufgerichtet und der Delinquent
unter großen Qualen Wind, Wetter und den Vögeln des Himmels
ausgesetzt. Gnädige Henker liessen das Wagenrad auf die Herzgegend
ihres Opfers fallen, so das sie sofort starben und nicht weiter
leiden mussten.
*** Bei dieser Hinrichtungsart
wird der Delinquent an einen Pfahl gebunden. Der Henker legt ihm
eine Eisenklammer, die Garotte, um den Hals und zieht die Schraube
zu, bis sein Opfer erstickt. Überlebende bezeichnen diese Folter-
und Tötungsart als besonders grausam, sie erlitten Todesangst
und Erstickungsnot.
|
|