Mord und Totschlag
Wie wir im vorangehenden Kapitel gesehen haben, gab es - wie überall - auch in unserer Familie schwarze Schafe. Im Staatsarchiv des Kantons Thurgau in Frauenfeld befinden sich zwei sehr interessante alte Bücher. Das eine (Nr. 0.30.27) ist das Gerichtsbuch des Malefizgerichtes aus den Jahren 1710-1726 und das andere (Nr. 0.32.0) das entsprechende Urteilsbuch aus den Jahren 1661-1794.
Ein Fall aus dem Jahre 1710 betrifft Hans Ulrich Burgermeister aus Wagerswil. Ich habe diesen Text abschreiben lassen und ihr könnt nun das Protokoll des Verhörs und des Urteils im Wortlaut des Originals und in der ins heutige Deutsch übersetzten Fassung nachlesen. Dass die damaligen Gerichtsschreiber mit Federkiel und Tinte in der Lage waren, einen solchen Dialog zwischen den Fragenden (Interogatio) und den Antwortenden (Responsio) in noch heute lesbarer Schrift mitzuschreiben, ist bewundernswert.

Wer nicht den ganzen Wortlaut lesen will findet hier eine Zusammenfassung:

 

  Verhör

Am 29. Januar und 4. Februar anno 1710 wird der etwa 20-jährige Hans Ulrich Burgermeister von Wagerswil vor dem Land- und Strafgericht verhört; er ist des Giftmordes an seiner Gattin Barbara Burgermeister-Kesselring angeklagt. Hans Ulrich bestreitet die Tat nicht, er habe seine Frau, die er vor 22 Wochen heiratete, nie geliebt und wollte sie weg haben, "sie habe nichts könen, und auf die werkh sich nichts verstanden". Zudem habe sie die Äpfel aus dem "Gumpip" (eingemachter Kompott) alleine gegessen und ihm nur die Rüben gelassen.

Auf die Frage, ob das Gerücht wahr sei, dass er seine Gattin vergiftet habe, schildert Hans Ulrich, wie es zur Tat kam. Er habe in Weinfelden Mäusegift gekauft, dieses habe er im "Kuchihüsli" unter das Mehl gemischt. Damit habe seine Frau dann am Sonntag ein weisses Mus gemacht. Er selber habe auch ein paar Löffel voll davon genossen. Es sei seiner Frau aber nur übel geworden.

Er habe darauf in Weinfelden für einen Schilling Gift gekauft und dieses hinter dem Rücken der Frau in die eine Hälfte des Brotteigs gemischt. Den vergifteten Teil habe er seiner Frau gegeben, den anderen habe er für sich behalten und in Gegenwart seiner Frau selber gegessen. Auf die Frage des Gerichts, wie die Frau darauf reagiert habe, sagt Ulrich, er habe nichts Sonderliches gesehen, ausser dass sie sich beklagte, es sei ihr übel. Sie habe erbrechen müssen, er sei aber trotzdem "ins Holtz gegangen". Als er wieder nach Hause kam, habe ihm die Frau geklagt, sie hätte stark erbrechen müssen, und sie wisse nicht, was ihr wohl "begegnet" sei.

Hans Ulrich will aber die Schuld nicht alleine tragen. Er bezichtigt seine zwei Kumpanen, den Zacharias Meussy einerseits, und den Hirtenjungen Johannes aus Wagerswil andrerseits, ihn zu dieser Untat angestiftet zu haben. Beide hätten ihm geraten, für ein paar Schillinge Mäusegift zu kaufen und unter das Mahl zu mischen. Seine Bedenken hätten ihm die beiden zerstreut: Sei die Frau einmal tot, könne sie ja nicht mehr aussagen, und man werde die Ursache ihres Todes weder sehen noch wissen können. Manch einer habe schon ein zweites oder drittes Mal wieder weiben können und dies sei vielleicht auch durch dieses Mittel geschehen und nicht offenbar geworden. Wenn man dann Gott um Verzeihung bitte und brav bete, sei auch diesem gegenüber die Sache wieder in Ordnung.

Das Gericht will mehr über die Rolle des Zacharias Meussy wissen. Hans Ulrich erzählt, sie seien vergangenen Spätherbst des nachts mineinander ausgegangen um Rüben zu entwenden, und als sie dann in Meussys Stube zusammensassen, habe ihn dieser gefragt, warum er nicht seine Schwester (Meussys) geheiratet habe, da er sich mit dieser ja besser verstehe als mit seinem jetzigen Weib. Er habe Zacharias dann zu verstehen gegeben, dass er seine Frau nie lieb hatte und er "gerne hätte, dass ihm selbige wieder stürbe". Hans Ulrich betont dem Gericht erneut, dass er nie darauf gekommen wäre, hätte er nicht diesen Unterricht von Zacharias und von Johannes erhalten.

Zeugenaussagen
Noch am selben 4. Februar werden die Zeugen einvernommen. Der etwa 16-jährige Hirtenbub Johannes sagt aus, er kenne Ulrich, weil ihm dieser vor ungefähr acht Wochen ein Wollhemd samt "Ribeli" für 3½ Gulden verkauft habe. Bei diesem Anlass habe Hans Ulrich ihm geklagt, wie ungern er sein Weib habe und dass er ihm das Geld schenke, wenn er seine Frau los werde. Später auf dem Jahrmarkt zu Weinfelden habe ihm Hans Ulrich das Gift, das er eben für einen Schilling gekauft hatte, geben wollen mit der Bitte, er soll dieses seiner Frau geben. Er könne es auf ein genässtes Stück Brot einreiben und es der Frau geben. Wenn er dies tue, so wolle er ihm die 3½ Gulden schenken. Er, Johannes, wollte sich aber mit dieser Sache nicht beladen, obschon ihm Hans Ulrich erklärte, dass dies keine Sünde sei, wenn man nur brav bete. Einige Zeit später habe ihm Hans Ulrich erzählt, er habe dieses Gift in "einer Dünnen" (Fladen) seiner Frau gegeben, aber es habe nicht gewirkt, seine Frau habe nur erbrechen müssen.

Hans Ulrich habe ihm gesagt, er werde es noch einmal probieren. Er Johannes habe ihm "solches abgewehrt", weil das doch grausam sei. Seither habe er mit Hans Ulrich nicht mehr über diese Sache geredet. Er habe auch nicht mehr darüber nachgedacht, bis er durch die Nachricht vom Tod der Frau aufgeschreckt worden sei. Er sei von seinem Meister weg zu seinem Vater gegangen "und die Sachen demselbigen erzehlt".

Zeuge Zacharias Meussy erklärt dem Gericht, er wisse nicht, warum er hier erscheinen müsse, er habe niemandem etwas Böses getan und niemandem zu etwas Bösem angehalten. Das Gericht will wissen, ob er gewusst habe, dass dem Ulrich Burgermeister "sein Weib verleidet sei". Zacharias behauptet, er hätte nichts gewusst, mindestens könne er sich nicht mehr daran erinnern. Das Gericht ermahnt ihn, seine Aussagen wohl zu überdenken. Zacharias sagt, er hätte mit dem Angeklagten nichts gemein, und wenn zwischen ihnen etwas geredet worden sei, so bestimmt nicht in böser Absicht. Die Frage des Gerichts, ob Hans Ulrich ihm nicht gesagt habe, er wäre froh, nie "gewibet" zu haben, er werde aber die Sache mit 1 oder 2 Schilling Mäusegift erledigen, verneinte Zacharias. Er wisse nichts davon, und wenn es so gewesen wäre, dann sei es ihm entfallen, der Burgermeister möge sagen, was er wolle.

Das Gericht traut Zacharias offenbar nicht, er wird am gleichen Tag nach der Mittagsmahlzeit ein zweites Mal verhört. Ob er vorhin der Obrigkeit die Wahrheit gesagt habe, will das Gericht wissen. Zacharias sagt aus, er sei bei der ersten Einvernahme etwas erschrocken gewesen, meine aber die Wahrheit gesagt zu haben. Er habe dann etwas nachgedacht und sich daran erinnert, dass Burgermeister ihm über sein Weib und seine Sorgen geklagt habe, und dass er wünschte, sie würde nicht älter. Er, Zacharias, könnte darauf noch etwas gesagt haben, das jetzt aber unfreundlich und zu seinen Ungunsten ausgelegt werden könnte. Er wisse wohl, dass der Angeklagte sein Weib nicht gerne hatte, weil man ihn gleichsam gezwungen habe, selbige zu heiraten. Er könne aber nicht sagen, dass sich Hans Ulrich bei ihm ernsthaft beklagte, wenigstens habe er es nicht so aufgefasst, deshalb könnte es schon sein, dass er in aller Arglosigkeit gesagt habe, wenn einer sein Weib nicht gern habe, so sei dem mit einem Stein oder einem Schilling Gift abzuhelfen. Er habe aber bei allem nie daran gedacht, dass es so weit kommen könnte.

Warum er dies nicht schon bei der ersten Einvernahme gesagt habe? Er sei zu sehr "im Schrecken gewesen" und habe nicht besser über die Sache nachgedacht.

Hans Ulrich Burgermeister wird nun den Zeugen einzeln "under das Augenlicht gestehlt" und ermahnt, wahrheitsgetreu zu schildern, was ihn zur begangenen Untat bewogen oder veranlasst habe. Hans Ulrich wiederholt seine früheren Aussagen. Meussy hingegen bestreitet all das gesagt zu haben. Wohl habe man darüber geredet, wie Hans Ulrich mit vergiftetem Brot geholfen werden könnte, aber nie mit der Absicht, dass selbiger dieses bewerkstelligen solle, schon gar nicht habe er versucht, ihn zu dieser Untat zu verleiten. Er habe ihm sogar ausdrücklich gesagt, dass derjenige, der so etwas täte, eine grosse Sünde begehe und sich vor Gott und der Obrigkeit schuldhaft mache.

Hans Ulrich besteht auf seiner Ansicht, dass er die Tat nie begangen hätte, wenn ihm nicht die beiden Anlass dazu gegeben und ihm als "Wegwisser" gedient hätten.

Meussy beteuert nochmals, der Burgermeister habe ihn gefragt, wie man eines Menschen los werden könne. Darauf habe er gesagt, dies sei ganz leicht, und zwar mit 1 oder 2 Schilling Gift zu vollziehen. Aber er habe ihm nie gesagt, dass er dies auch tun solle.

Urteil

Donnerstag den 13. Februar 1710 ist über Hans Ulrich Burgermeister von Wagerswil vom Land- und Malefizgericht das Urteil gesprochen worden.

Durch Mehrheitsbeschluss haben die Land- und Malefizrichter nach "getaner Klag und Antwort" Hans Ulrich Burgermeister verurteilt. Der Malefiz sei dem Scharfrichter in "seine Hand und Band" zu überantworten. Dieser soll ihn auf die Richtstatt führen, ihn dort auf die "Buechen spannen", durch die Stösse des Rads seine Glieder brechen*, ihn nach gegebenem Herz- oder Gesellen(Gnaden?)stoss auf das Rad einflechten** und beim Galgen für männiglich als Exempel aufstecken. Wenn dies geschehen, so habe der Malefiz im zeitlichen Leben gebüsst, und sein Hab und Gut soll dem hochobrigkeitlichen Fiskus anheimfallen.

Als Nebensatz wird angeführt, dass dieses Urteil auf Einsprache der Geistlichkeit und des Obervogts von Altenklingen sowie aus Gnaden des Landvogts Ackermann von Unterwalden dahin "limitiert" wurde, dass der Delinquent zuerst an einem Pfahl*** erwürgt werden solle, bevor er öffentlich geradbrecht und vor dem Galgen aufgestellt werde.

* Die Abbildung über Hinrichtungsmethoden im 18. Jahrhundert zeigt rechts am Rand, wie einem Delinquenten mit dem Rad die Glieder gebrochen werden.

** Bei dieser Vollstreckungsart wurden dem Verurteilten zuerst die Arm- und Beinknochen gebrochen. So konnte er nackt in ein Wagenrad eingeflochten werden. Nachdem der Henker mehrfach ein neues, schweres Wagenrad auf den Delinquenten fallen liess, wurde das Rad mit einem Pfahl aufgerichtet und der Delinquent unter großen Qualen Wind, Wetter und den Vögeln des Himmels ausgesetzt. Gnädige Henker liessen das Wagenrad auf die Herzgegend ihres Opfers fallen, so das sie sofort starben und nicht weiter leiden mussten.

*** Bei dieser Hinrichtungsart wird der Delinquent an einen Pfahl gebunden. Der Henker legt ihm eine Eisenklammer, die Garotte, um den Hals und zieht die Schraube zu, bis sein Opfer erstickt. Überlebende bezeichnen diese Folter- und Tötungsart als besonders grausam, sie erlitten Todesangst und Erstickungsnot.