Sprachen und Schriften

Das Studium alter Urkunden bereitet uns in mehrfacher Hinsicht Schwierigkeiten. Oft ist es einem Laien wie mir nicht mehr möglich, die Schrift zu lesen, oder wenn wir es können, verstehen wir den Text kaum, weil er in einem alten Deutsch geschrieben ist. Dazu kommt, dass die damalige Amtssprache uns das Verständnis in keiner Weise erleichtert. Auch dass ellenlange Dokumente aus einem einzigen Satz bestehen, macht die Sache nicht leichter.

Daten
W
enn Jahresangaben in römischen Ziffern gemacht werden bietet das kein Problem, sind wir uns das doch von Gebäuden und Denkmälern gewohnt. Mehr Mühe machten mir die Monatsangaben wie 8bris, 9bris oder in römischen Zahlen. VIIber, VIIIber, IXber, Xber. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich dabei um den 7., 8., 9., und 10. Monat des Jahres handelt, also Juli bis Oktober. Tut es auch, nur sind sie von der lateinischen Zahlenbedeutung abgeleitet. 7 (septem) für September, 8 (octo) für Oktober, 9 (novem) für November und 10 (decem) für Dezember. Eigentlich klar, oder etwa nicht? Einer der ältesten Fundorte unseres Namens im Kirchenbuch von Engwang zeigt diese Schreibweise.

Damit aber nicht genug. Die Daten werden oft nicht mit Zahlen sondern in Worten ausgedrückt. Darunter kann sich ein Laie nun wirklich nichts vorstellen:

  • am mittwoch nach sannt Pauls bekerung tag
  • uff zinstag nach der hailligen drüfalltigkeit
  • uff mentag nach dem sonntag Invocarit jn den vasten
  • an dornstag vor Trium Regum
  • uff mentag next vor Mitterfasten
  • an Zinsstag vor der herren Vaßnacht
  • an mentag nach dem suntag Laetare Mitvasten
  • an dem nächsten fritag nach sant Peter und sant Pauls tag der heiligen zwölffbotten
  • an zinsstag nach des hailigen crütz tag zu herpt
  • uff montag nach dem sontag Quasimodo
  • zinsstag nach unser lieben Frowen tag der Lichtmeß
  • am nächsten mentag vor sant Johans des töffers
Kalligraphie
Abgesehen vom persönlichen Schriftbild, das jede Handschrift aufweist, erfanden einige Schreiber eigene Abkürzungen, die sie für immer wiederkehrende Worte oder Floskeln gebrauchten. Dazu gab es früher allgemein gebräuchliche Besonderheiten. Wortanfang und -ende wurden oft zusammengezogen z.B. Deus (Gott) wurde zu ds oder Pater (Vater) zu pr. Auch Abkürzungen waren sehr gebräuchlich. Sep für sepultus (begraben), f für filius (Sohn) oder ad für anno domini (im Jahre des Herrn). Auch wurden Kürzel verwendet. Das Zeichen Ø steht für das Wort obiit (verstorben).


Die Zeit, welche die damaligen Schreiber mit Abkürzungen einsparten, verwendeten sie für die Initialen am Anfang eines Dokumentes, sie wurden mit besonderer Akribie und Hingabe gestaltet. Hier einige Beispiele die zeigen, mit welcher Freude und welchem Berufsstolz diese Zeichen hingemalt wurden.

Schriftwechsel
Warum können wir Dokumente aus der Römerzeit problemlos lesen (wenn auch nicht unbedingt verstehen), während ich früher die Briefe meiner Grossmutter kaum entziffern konnte? Haben die alten Römer schöner geschrieben?

Jede Schrift trägt den Geist der Kultur, in der sie entstanden ist. Auch die Schrift hat ihren Stammbaum. Aus der römischen Kapitale - sie diente als Vorbild für unsere heutigen lateinischen Grossbuchstaben - entstanden Nachfolgeschriften wie im 4. Jahrhundert die Unciale. Erst in der Karolingischen Minuskel wurden auch Kleinbuchstaben eingeführt, d.h. die Schrift ging nun mit Ober- und Unterlängen über das Zweiliniensystem hinaus. Die Buchstaben stehen senkrecht und haben noch keine Verbindung nebeneinander. Diese Schrift stand ganz im Zeichen der kulturellen Erneuerung unter Karl dem Grossen. Die Minuskel der italienischen Humanisten wurde vom Buchdruck als Antiqua-Schrift aufgenommen, deshalb kann die Karolingische Minuskel als die Mutter der heutigen lateinischen Weltschrift angesehen werden.

Die deutsche Schreibschrift
Wenn man einmal die Besonderheiten der deutschen Schreibschrift kennt, bereitet das Entziffern wenig Schwierigkeiten - glaubt man.
 

Wenn es nur nicht für ein und denselben Buchstaben zwei verschiedene Zeichen gäbe. Da gibt es einmal zwei verschiedene s-Zeichen, das "lange s" und das "Schluss-s". Nun steht aber das Schluss-s nicht nur am Wortende sondern auch am Ende von Silben in zusammengesetzten Wörtern. "Haussegen" wird nicht mit zwei normalen s (ss) geschweige denn mit einem Doppel-s (ß) geschreiben sondern mit einem Schluss- und einem normalem s), also so: . Spitzfindig? Wenn Sie das Wort "Wachstube" aus dem Zusammenhang gerissen lesen, können Sie nicht wissen, um was es sich dabei handelt. Wie würden Sie das Wort trennen? In der alten Deutschen Schrift ist es aber sonnenklar: Entweder , die Stube der Wache, oder , eine Tube mit Wachs.

Eine Besonderheit sind die "Ligaturen". Das sind Buchstabenverbindungen aus zwei oder mehr Zeichen: ch, ck, ff, fi, fl, ft, ll, sch, si, st, tt, tz. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht aus enger zusammengerückten Einzelbuchstaben bestehen, sondern eigene Formen haben.

Hier eine kleine Leseprobe.

Fraktur
Die Druckschrift vor 1950 war die Fraktur und diese habe ich aus meiner Jugend noch gut in Erinnerung. In der Schule lernten wir die lateinische Schrift, dass ist die Schrift, die Sie eben lesen.

Als Dreikäsehoch wollte ich aber auch Bücher wie "Robinson", "Rulaman" und "Das Neue Universum" lesen. Diese waren aber ganz anders geschrieben als unsere französische Bibel aus dem Jahre 1902.
 
 

Das Entziffern bedeutete mir denn auch anfänglich Mühe. Wie und warum kam es zum Wechsel von der Fraktur zur lateinischen Schrift? Warum wurde plötzlich in Deutschland so gedruckt, wie es die Franzosen und Italiener schon immer taten? Die Geschichte der Fraktur ist interessant, wurden um sie doch geistige Kriege geführt bis sie schliesslich von höchster Stelle verboten wurde.

Der Ausdruck 'Fraktur" (lateinisch: "Bruch") besagt, dass die aus dem klassischen Altertum stammenden runden Linien der Buchstaben Brechungen erfuhren. Dieser Vorgang begann schon um 1200 n. Chr. als auch in der Baukunst die romanischen Rundbögen gotisch gebrochen wurden. Als erste Schriftgruppe entstand so in den Schreibstuben Nordfrankreichs die gotische Form. Diese hohe, schmale Schrift bildete Johannes Gutenberg noch in dem ersten Druckwerk des Abendlandes, der 42-zeiligen Bibel von 1455, nach. Um 1470 erscheint dann auf deutschem Boden die zweite gebrochene Schriftgruppe: Die "Schwabacher", benannt vermutlich nach dem Ort Schwabach bei Nürnberg. Als Martin Luther mit seiner Bibelübersetzung zur Entstehung einer einheitlichen Schriftsprache beitrug, gab die Schwabacher Schrift der Sprache eine neue einheitliche Gestalt. Zu ihren frühesten Benutzern zählt Albrecht Dürer.

Bis in das 20 Jahrhundert werden nun anfangs alle, später die weitaus meisten deutschen Texte in Fraktur gesetzt. Dies trägt ihr den Namen "deutsche Schrift' ein. Als bewusste Gegenschöpfung zur deutschen Schrift kommt zu dieser Zeit die Humanisten-Antiqua auf. In der Folgezeit schaffen die Schriftkünstler ständig neue, immer besser lesbare Frakturschriften. Doch kommt bei diesem Bemühen auch die Schönheit nicht zu kurz. So entwickelt sich die Fraktur zu einem höchst zweckmässigen Kunstwerk. Die bessere Lesbarkeit einer guten Frakturschrift beruht in der Hauptsache auf vier Eigenschaften, die sie im Gegensatz zur Antiqua auszeichnen.

  • Mehr Buchstaben haben Ober- und Unterlängen. Damit ragen sie auffälliger aus dem Zeilenband heraus und werden so schneller vom Auge erfasst.
  • Die Buchstaben unterscheiden sich stärker voneinander und werden somit rascher bzw. sicherer erkannt.
  • Die meisten Frakturschriften laufen schmaler, so dass auf einen Blick mehr Buchstaben erfasst werden können. Dies wirkt sich besonders in deutschen Texten vorteilhaft aus, weil hier viele Silben mehr Buchstaben enthalten als in den meisten anderen europäischen Sprachen.
  • Wie die Kurrent-Schrift, kennt auch die Fraktur zwei verschiedene s. Kommt das Schluss-s innerhalb eines Wortes vor, lässt sich das Wort viel leichter lesen. Zum Beispiel:

Warum hat man denn bei so vielen Vorzügen die Fraktur aufgegeben? Die deutsche Schrift verschwand als Schreibschrift und die Fraktur aus Zeitungen, Zeitschriften, Büchern und Lehrplänen.

Verschiedene Einflüsse trugen zu dieser Entwicklung bei. Der wohl bedeutendste und wahrscheinlich entscheidende Auslöser für diesen Kulturverfall war die NSDAP. Am 3. Januar 1941 wurde die Fraktur in einem geheimen Erlass von Martin Bormann im Auftrag des Führers verboten. Die Schrift wurde als "Judenlettern" bezeichnet und nur unter diesem Vorwand liess sich das Verbot wohl auch durchsetzen. Es durfte also nur noch die zur Normalschrift gemachte lateinische Schrift verwendet werden. Über die Gründe für diesen Erlass kann nur spekuliert werden. Es mögen handfeste ökonomisch-politische Interessen im Vordergrund gestanden haben. Im Verlauf der "Blitzsiege" der deutschen Wehrmacht versuchten sich immer wieder die Einwohner der besetzten Gebiete mit dem Argument, sie könnten die deutsche Schrift nicht lesen, den Anordnungen der Nazis zu entziehen. In den meisten europäischen Staaten war nämlich die Fraktur - sofern sie dort überhaupt je verbreitet war - vor dem ersten Weltkrieg zugunsten der lateinischen Schrift, der Antiqua, amtlicherseits aufgegeben worden. Somit gab es in diesen Ländern auch zu wenig Druckereien, die in der Lage waren, Frakturtexte zu setzen.

Bestrebungen die Fraktur abzuschaffen gab es allerdings im Deutschen Reich schon früher. Sie scheiterten erstmalig am 4. Mai 1911, als im Reichstag eine Petition zur Abschaffung mit 85 zu 82 Stimmen abgelehnt wurde. Die Abstimmung war jedoch wegen Beschlussunfähigkeit ungültig. Die Auseinandersetzung setzte sich heftig und emotional fort und ging als "Schriftenstreit von 1911" in die Geschichte ein. Am 17. Oktober fand schliesslich eine neue Abstimmung statt, bei der der Antrag mit über 75% der Stimmen endgültig abgelehnt wurde. Die Fraktur blieb die deutsche Schrift.

Hitler hatte eine tiefe Abneigung gegen die Fraktur. Am Reichsparteitag von 1934 dozierte er in einer Mischung aus technischer Fortschrittsgläubigkeit und schwärmerisch-romantischer Deutschtümelei, die den Nazis damals eigen war: "Eure vermeintliche gotische Verinnerlichung passt schlecht in das Zeitalter von Stahl und Eisen, Glas und Beton, von Frauenschönheit und Männerkraft, von hochgehobenem Haupt und trotzigem Sinn (...) Unsere Sprache wird in hundert Jahren die europäische Sprache sein. Die Länder des Ostens, des Nordens wie des Westens werden, um sich mit uns verständigen zu können, unsere Sprache lernen. Die Voraussetzung dafür: An die Stelle der gotisch genannten Schrift tritt die Schrift, welche wir bisher die lateinische nannten........"

Heute gibt es die Schrift praktisch nicht mehr. Letzte Reste der Bleilettern sind im Verlaufe der Umstellung auf Fotosatz wohl vernichtet worden. Dass ich heute mit meinem PC die Fraktur und die deutsche Schreibschrift drucken kann (s.oben), verdanken wir einer Handvoll deutscher Computer- und Schriftkundigen die in enormer Kleinarbeit diese Fonts geschaffen haben. Wenn Sie auf Ihrem PC einen Font haben, der sich Fraktur nennt, heisst das noch lang nicht, dass Sie auch korrekt Fraktur schreiben können, es fehlen Ihnen die Ligaturen und die richtigen "s".